Selbstkonzept

Durch die Brille der Bewertung

Ein Kind hat sich weh getan und ist nahe daran zu weinen. (Empfindung: Schmerz, Lösung: Trost). Da das Kind aber gleichzeitig spürt, dass die anwesenden Erwachsenen dies missbilligen würden, schluckt das Kind die auftretenden Tränen hinunter und macht ein fröhliches Gesicht, was ausdrücken soll: "Das hat mir gar nichts ausgemacht!"(Bewertung vor Empfindung). Durch wiederholte Erfahrung dieser Art entwickelt sich das Selbstbild heraus: Mir machen Schmerzen nichts aus. Der Erhaltung des Selbstkonzeptes wird Vorrang eingeräumt vor der Entfaltung des Organismus (Trost erfahren, Hilfe annehmen). Das Selbstbild: "Ich bin keine Heulsuse" bedeutet, dass die Erfahrung des Schmerzes verleugnet wird: "Es hat gar nicht weh getan" oder verzerrt: "Es macht mir gar nichts aus."

Aus der Bindungsforschung wissen wir, wie perfekt bereits Kinder von einem Jahr ihre Gefühle unterdrücken können. Die eigenen Bedürfnisse werden so mit der Zeit immer weniger wahrgenommen, stattdessen identifiziert sich das Kind mehr und mehr mit den Wünschen und Bedürfnissen der Bezugsperson. So kommt es zur Entfremdung von sich selbst. Der Weg in Richtung psychischer Reife, besteht in der Erreichung eines Selbst, das alle Erfahrungen - positive wie negative - wahrnehmen und integrieren kann. (vgl. Sabine Weinberger, Klientenzentrierte Gesprächsführung)

Mein flexibles Selbstkonzept

Folgen mangelnder Übereinstimmung

Ein Schüler, der immer nur gute Noten schreibt, erhält eine schlechte Klausur zurück. Da er diese schlechte Leistung nicht in sein Selbstkonzept integrieren kann, wird sie verzerrt wahrgenommen: "Der Lehrer hat falsche Aufgaben gestellt", "die Klasse war zu laut" (subjektive Überzeugung). Auch positive Erfahrungen erliegen der Verleugnung oder Verzerrung. Hat ein Schüler das Selbstbild, er sei dumm oder könne etwas nicht, werden positive Leistungen entweder ignoriert oder als Zufall abgetan.

Ein Familienvater, in dem die Überzeugung tief verankert ist, dass er niemals eine sexuelle Beziehung außerhalb der Ehe aufnehmen würde, hat dies auf einer Geschäftsreise dennoch getan. Die Folge ist, dass der Mann seinen Seitensprung zuerst ganz aus dem Bewusstsein verdrängt und dann - mit der Realität konfrontiert - erklärt, dass er von seinem Kollegen ganz bewusst unter Alkohol gesetzt und in diese beschämende Situation rein gezwungen worden sei. Sodass er nichts dafür könne. Er würde so was niemals aus freiem Willen tun (subjektive Überzeugung).

Prozess der Veränderung

Ängste, Spannungen und Verteidigungshaltungen können über ein flexibleres Selbstkonzept verändert werden. Dazu brauchen wir Beziehungen, die von Akzeptanz geprägt sind, sodass wir uns langsam so entdecken können, wie wir wirklich sind. Innerhalb derer auch negative Gefühle, die vorher mit dem Selbstkonzept nicht vereinbar waren, schließlich zugelassen werden können. "Das merkwürdige Paradox des Lebens ist: Erst wenn ich mich akzeptiere, so wie ich bin, kann ich mich ändern." (Carl Rogers)

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Marion Lampert-Gruber

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